Über die Regenbogenbrücke

Pummel, die Katzendame, die sich als Chefin hier im Hause fühlt, ist auch nicht mehr die Jüngste. Aber sie ist munter und unternehmungslustig. Gerade hat sie sich wieder neben dem Notebook platziert und wartet darauf, dass ich ihr Diktat aufnehme. Nun gut, ich höre und sie beginnt:

„Ihr Dosenöffner macht doch auch so ein Brimborium darum, wenn ein anderer Dosenöffner über die Regenbogenbrücke geht. Stimmt’s oder habe ich recht? Also wollen wir, die intelligenteren Lebewesen, auch ein wenig Brimborium machen. Wir nennen das allerdings wir nehmen Abschied!

Und weiter: „Wir nehmen Abschied von dem kleinen Kater, der nur ein Auge hatte und eine ganz hohe Stimme. Ein mutiger kleiner Kerl, der sich wohl irgendwie mit dem Falschen angelegt hat. Er war ja wirklich nett, aber seine Mutter musste ich immer verjagen. Die war einfach zu dreist!“

Sie wartet bis ich getippt habe. „Das musst Du noch üben! Also weiter. Wir nehmen Abschied von der Katzendame, die Du immer Stummel genannt hast, weil jemand ihr über den Schwanz gefahren ist, Sie war trotzdem immer lustig und gesellig. Aber dann wurden ihr die Krankheiten zuviel. Der freundliche Arzt hat ihr dann geholfen über die Brücke zu gehen.“ Pummel hält einen Moment inne.

„Wir nehmen Abschied von Rike, die immer mit Eurydike angesprochen werden wollte, dieses hochnäsige Biest. Ich war sogar richtig eifersüchtig, als sie sich bei Dir im Wohnzimmer einen der besten Plätze gesucht hat. Sie war in etwa so alt wie ich und so haben wir uns dann doch mehr oder weniger gut verstanden, Es war ja immer für alle genug zu fressen da. Wo zwei satt werden, da werden auch drei satt, wie Du immer sagst. Vor ein paar Tagen hat sie mir erzählt, dass sie sich ein stilles Plätzchen suchen will. Hier wäre ihr zuviel Trubel, um sich auf die Regenbogenbrücke vorzubereiten. Ich bin mir sicher, sie ist schon auf der anderen Seite!“

Pummel sieht mich an, so als wenn sie sagen wollte, dass jetzt etwas ganz wichtiges kommt: „Als Chefin dieses Hauses und mit Deiner Hilfe, lieber Dosenöffner, lassen wir sie gehen. Mögen sie auf der anderen Seite das Katzenparadies finden, ohne Sorgen und Krankheiten, ohne Hunger und Kälte und möge der große Dosenöffner da oben sie alle in sein großes Herz schliessen“.

Ich glaube nicht richtig zu hören, als Pummel noch ein kräftiges „Amen“ hinterherschob. „Und nun kannst Du die Bilder einbauen!“ – Pummel war irgendwie erleichtert, denn das war ihre erste Abschiedsrede. Sie dreht sich um geht gemessenes Schrittes in Richtung Katzenklappe. Dabei ruft sie kurz: „Abendessen wie immer?“ – Das klang nicht wie eine Frage, eher wie ein Befehl.

PS.: Gut, in einer Sache irrte Pummel, denn Rike ist heute Nachmittag wieder aufgetaucht und hat ihre alte Gewohnheit – eine halbe Stunde Kraueln – wieder aufgenommen. Dann allerdings trottete sie von dannen und drehte sich dabei ein paar Male zu mir um. Mich beschleicht das Gefühl, sie wollte sich verabschieden.